„Schopenhauers Stachelschweine“
Freundschaften, Bekanntschaften, die Partnerschaft oder auch berufliche Verbindungen – wir brauchen einander. Nur in Beziehung haben wir die Möglichkeit uns selbst kennen zu lernen. So erfahren wir auch, dass wir den einen mehr, den anderen weniger nahe bei uns haben wollen.
Wie viel Nähe ist aber nun allgemein gut und richtig? Wie viel Autonomie brauchen wir? Gibt es ein Geheimrezept für funktionierende Beziehungen? Und ist das für alle gleich?
Die Psychotherapeutin Deborah A. Luepnitz hat hierzu in ihrem wunderbaren Buch „Schopenhauers Stachelschweine“ wahre Geschichten über dieses Dilemma zusammengetragen. Ausgehend von Schopenhauers Gleichnis, dass Stachelschweine beim Versuch sich zu wärmen den richtigen, maßvollen Abstand benötigen, um sich nicht zu piksen oder doch wieder zu frieren, beschreibt sie die Tücken, die sich aufgrund unserer Erfahrungen mit Autonomie und Gemeinschaft ergeben. Unsere widersprüchlichen Bedürfnissen nach eigenem Streben, Unabhängigkeit, Freiheit, selbstbestimmter Ich-Zeit und dem gegensätzlichen Pol, unserem Wunsch nach Nähe, Zärtlichkeit, Austausch und Gemeinsamkeit.
Schopenhauer beschreibt diese Dichotomie natürlich pessimistischer: wer sich selbst vollkommen genug ist, so seine Überzeugung, hält sich einfach fern von Gesellschaft, dann tut es auch nicht weh.
Für die meisten von uns ist das zum Glück nicht die – wie ich finde – resignierte Wahl des Daseins. Doch in einem Punkt hat er recht: Nur wenn wir uns selbst genug sind, uns und somit unsere Bedürfnisse achten, sie kommunizieren und für ihre Umsetzung einstehen – egal wie schmerzhaft dies für das Umfeld auch sein mag – sind wir fähig wahre, von Herzen kommende Nähe, Fürsorge und Liebe zu leben.
Ich-Zeit, das kann die halbe Stunde im Bad ohne Kinder und Partnerin sein. Es kann der monatliche Abend mit den Freundinnen beim Italiener sein. Das Wochenende in Barcelona mit den alten Schulfreunden. Die Stunde lesen im Gästezimmer. Den kompletten Zweitverdienst für die Betreuung der Kinder verwenden, weil die berufliche Erfüllung der Mutter Zufriedenheit bringt.
Diese Akte der Selbstliebe kommen auch unseren Kindern, Partnern und Freunden zugute. Wir sind Vorbild und: Wir sind echt. Wir bleiben, wenn wir wollen. Wir melden uns, wenn es eng wird. Und wir gehen, wenn es für uns nicht mehr geht. Diese Freiheit lässt uns Menschen wachsen und bindet uns mehr zusammen als es uns voneinander trennt.
Wenn wir im Laufe des Lebens unsere individuelle Balance für diese uns eigene Widersprüchlichkeit gefunden haben, ist es ein Akt der Befreiung. Es ist dieses Gefühl, vollkommen bei sich und doch verbunden mit den anderen zu sein. Unabhängigkeit bei bleibender gegenseitiger Abhängigkeit.
Gesunde Beziehungen haben daher keinen festen Plan. Sie bestehen aus den für die Beteiligten passenden Gestaltungsformen. Sie basieren auf dem Vertrauen in das Leben, dass alles gut ist und gut bleibt. Und dass, egal was kommt, es immer gut sein wird.
Mit den besten Wünschen für ein ausgeglichenes Jahr voller Entwicklung und Freude,
Ihre Eva Klein